KZW, 21.12.2000

Eierpappen und ein Hauch von Rebellion
Nordenhamer Rockgeschichte im Internet
Von Detlef Glückselig
Musiker hatten noch lange Haare, an den Wänden ihrer Übungsräume klebten die obligatorischen Eierpappen, und ein bisschen war das, was sie taten, stets auch Rebellion. 40 Jahre Nordenhamer Rock-Geschichte im Internet werden sie wieder lebendig. Jürgen Lange macht es möglich.
In Nordenham gab es von je her eine überaus lebendige Musikszene. Jürgen Lange ist seit den frühen 70er Jahren einer ihrer Protagonisten. Von 1972 bis 1975 spielte in der Band Kwalm Bluesrock. Bis in die späten 80er Jahre widmete es sich in den Gruppen Roisin Dubh und Alloy dem Folk, gab dann ein sechsjähriges Gastspiel bei der Lehrerband beziehungsweise der Ersten Allgemeinen Lehrerband. Inzwischen interessiert sich Jürgen Lange vor allem dafür, wie man Musik auf einen Tonträger bannt und dafür, wie sich die Nordenhamer Szene von ihren Anfangsjahren bis heute entwickelt hat.
Jürgen Lange war im Internet auf eine Seite von Kraan gestoßen, eine Jazz-Rock-Legende aus den 70er Jahren, die auch in Nordenham einige Male gespielt hat. Die Bilder, die er auf der Seite fand, waren nicht gerade berauschend. „Da hab‘ ich bessere“, sagte sich der Esenshammer, forstete sein Negativarchiv durch und stieß dabei nicht nur auf Fotos von Kraan, sondern auch auf Bilder vieler Nordenhamer Bands, die teils lange in Vergessenheit geraten sind.
Jürgen Lange beschloss, diesen Fundus nicht verstauben zu lassen, sondern ihn im Internet anderen Musikinteressierten zugänglich zu machen. So entstand die Idee für das „Nordenhamer Folk- und Rock-Lexikon“, das jetzt unter www.weglang.de/rocklex/ im Internet zu finden ist.
Das Lexikon ist noch längst nicht fertig. Zu vielen der bislang 80 Bands, die Jürgen Lange zusammengetragen hat, gibt es nicht mehr als den Eintrag des Namens und mit Chance noch eine Jahreszahl. Für Hinweise, Texte und Fotos ist der Esenshammer dankbar. Ohnehin versteht er sein Lexikon als eine Art Forum, auf dem sich jeder tummeln und etwas beisteuern kann.
Wie mühsam es ist, Fakten, Daten und Namen aus der Nordenhamer Rockgeschichte zusammenzutragen, hat Jürgen Lange bereits erfahren. Im Archiv der Kreiszeitung ist er auf Spurensuche gegangen und hat einen Pressespiegel zusammengetragen. Viele Informationen hat ihm Jahnhallen-Leiter Robert Kohl geliefert, der ebenfalls die Idee hatte, die Geschichte der Rockszene Nordenhams aufzuarbeiten. Vor allem die 80er und 90er Jahre sind bislang aber noch ein weitgehend unbestelltes Feld.
Über die 60er und besonders die 70er Jahre dagegen hat Jürgen Lange bereits eine Menge an Bildern und Informationen gesammelt, und in diesen Kapiteln zu stöbern, ist wie ein Klassentreffen man trifft auf alte Bekannte (die damals noch volle Haare und keinen Bauch hatte), kann in Erinnerungen schwelgen.
„Neger-Sänger“
In den frühen 60er Jahren spielte die Musik so ungewöhnlich es auch klingen mag vor allem in Blexen. In den Sälen der Gaststätte Albrecht (später Ammen) und Gallasch (heute Burgk) fanden regelmäßig Konzerte statt. Billy Mo, der „Neger-Sänger“, wie er damals angekündigt wurde, war oft zu Gast und wurde von hiesigen Musikern begleitet. Von der anderen Weserseite kamen Just us, aus denen später Trio hervorgingen.
Bei den „Hausbands“, über die jeder Saalbetrieb verfügte, zieht sich ein Name wie ein roter Faden durch diese Dekade: Eddy Maréchal. Der verstorbene Vater des Prime-Time-Sängers Tommy Maréchal spielte Schlagzeug in der EM-Swing-Combo, der Jade-Blue-Band, die dann zum Jade-Blue-Sextett wurde, später bei den Remainders. Neben diesen Formationen gab es die Floridas, die Savages, die Beat Cats um nur einige Gruppen aus der langen Liste zu nennen.
Von Euphrat zu Una Banda
Dann kamen die 70er Jahre. Die Lehrerband formierte sich 1973, ein Jahr später folgten Bad Habit, die im Vorprogramm der britischen Bluesrocker Chicken Shack im November 1974 ihren ersten großen Auftritte hatten. Als Schülerband gründete sich 1977 Lilac Insence, um 1983 um einiges gereift wieder abzutreten. Euphrat spielten Ende der 70er Jahren Jazzrock und gebaren Una Banda de Musica, die mit einem schon legendären Konzert im „Weserstrand“ in Großensiel damals für kurze Zeit eine Musikkneipe ihren Einstand gaben und zusammen mit Please Stop Talking einige der wichtigsten Kapitel der 80er Jahre schrieben.
Unzählige weitere Gruppen tauchten auf der Szene auf und verschwanden wieder. Sie spielten im Jugendzentrum, im Preussag-Kasino, in Schulaulen, in der Friedeburg, im Weserstrand oder im ehemaligen Norddeutschen Hof, der 1972 zur Discothek Atlantic City (AC) geworden war.
Die 90er Jahre brachten neue Gruppen hervor. Folk stand und steht wieder hoch im Kurs. Prime Time tauchten aus den Überresten von PST auf der Bildfläche auf. ruta baga mauserten sich von einer Jugendband zu einer der Speerspitzen der Szene. Und wo die früheren Dekaden fest in Männerhand waren, rocken jetzt auch die Frauen mit: Über Faltenrock findet sich ebenfalls ein Eintrag in Jürgen Langes Internet-Lexikon.