KZW, 12.8.77

Lieder vom Lebenskampf in Haverkiel-Baracken
Janny Lundbech sang vor Tausenden bei Nürnberger Festival
Nordenham (rad). Wenn Janny Lundbech vom „Haverkiel-Mann“ singt, vom Ratten-Ballett im Hinterhof und vom Lebenskampf unter extremen Umweltbedingungen, dann weiß er, wovon er spricht. Im Gegensatz zu zahlreichen selbst ernannten Sozialkritikern, die sich nur allzu gerne mit dem „schicken“ Flair von Außenseitern der Wohlstandsgesellschaft umgeben, hat der 26-jährige Nordenhamer tatsächlich 17 Jahre seines Lebens in Notunterkünften und Barackenbehausungen zubringen müssen. Bilanz, Aufarbeitung und Abrechnung mit dieser Zeit sind das beherrschende Thema von Jannys Liedern, mit denen er am vergangenen Wochenende in Nürnberg vor ein tausendköpfiges Publikum trat: Zum zweiten Mal hatten die Stadtväter der Frankenmetropole zum Barden-Festival in der mittelalterlichen Kulisse der Altstadt aufgerufen.
Dabei war der Liedermacher Janny Lundbech aus der Jedutenstraße 16 bisher nur engen Freunden und Bekannten ein Begriff, denen der stille und zurückhaltende Sänger neue Kompositionen im stillen Kämmerlein vorgetragen hatte. Erst nachdem ihm der Tipp mit dem Nürnberger Festival gegeben worden war, fasste er sich ein Herz, bespielte eine Tonbandkassette mit seinen Liedern und schickte das Tape an die Veranstalter. Waren ihm bis dahin schon Zweifel an der eigenen Qualität gekommen, so räumte das Antwortschreiben des Nürnberger Verkehrsvereins gründlich damit auf: Die Songs hatten die Jury so überzeugt, dass er sofort in die Lebkuchenstadt eingeladen wurde, als einer von 45 Auserwählten aus dem gesamten Bundesgebiet – moderne Meistersinger in der Kulisse des Mittelalters. Das Nürnberger Barden-Festival gilt als Alternative zum Schlager-Einerlei in der Bundesrepublik. Es wurde zum zweiten Mal veranstaltet und zog an die 30 000 Zuschauer in die Altstadt. Anderswo musizieren die Barden bei Veranstaltungen für die Szene – hier werden sie zum Bestandteil des Straßenbildes, wo der direkte Kontakt zum Zuhörer gesucht wird. Die Schauplätze: der Aufsessplatz, der Köpfleinsberg, der Handwerkerhof, die Untere Talgasse und der Gänsemännchenbrunnen, wo auch Janny Lundbech mit seiner Gitarre zu finden war und der zum Hauptumschlagsplatz für Lieder und Kommentare, Begegnungen und Bier wurde.
Mit von der Partie war auch der Jura-Student Klaus-Dieter Frerichs, der mit Janny nach Bayern gefahren und ihn am ersten Tag auch auf der Gitarre begleitet hatte. Beide hatten in der Stadt des Christkindlmarktes reichlich Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch mit anderen Sängern. Den nachhaltigsten Eindruck hat beiden Barden von der Unterweser jedoch der Kontakt zum Publikum hinterlassen, das auch am Gänsemännchenbrunnen nach Tausenden gezählt wurde. Was für eine Bestätigung für einen jungen Musikanten.