KZW, 22.2.99

Neue Maßstäbe gesetzt
Jahnhalle: Gradiose Blow Beat AWD mehr als nur die Vorgruppe

Von Dodo Spark
Hast du den Drummer beobachtet, tierisch!“ An welche Kreatur mag der Jahnhallenbesucher wohl gedacht haben? Egal, nehmen wir's als Ausdruck höchster Anerkennung und setzen wir noch einen drauf: Seit dem Auftritt von René Cremmers und der niederländischen Gruppe Blow Beat hängt die Meßlatte für alle Nachfolgenden ganz, ganz hoch.
Mundpropaganda und zungenschnalzende Lobenshymnen derjenigen, die die Ausnahmeformation vor Jahren in der Jahnhalle erlebt hatten, ließen schon im Vorfeld Außergewöhnliches erwarten. Zu Recht, wie René Cremmers, Ton Engels, der Sänger mit der ausdrucksstarken Stimme und den absurden Geschichten, Jörg Lehnardt, Spezialist für Gitarrensoli mit Jubeleffekt, und Stu Grinshaw, sein Pendant am Baß, bis deutlich nach Mitternacht bewiesen.
Ganz viele Nordenhamer hatte die Vorhersage erkennbar nicht erreicht. Etliche fremde Gesichter unter den rund 100 Zuhörern waren ein deutlicher Hinweis, daß Blow Beat zumindest unter Eingeweihten von außerhalb die gebührende Hochachtung genießen. Daß sich das heimische Publikum am Sonnabend abend relativ rar machte, war bedauerlich und noch aus einem weiteren Grunde schwer verständlich. Immerhin traten Sven Lüdke, Sven Ripken und Jens Thaden als Vorgruppe auf. Und die gehören nicht erst als AWD (Acoustic Waltz Duo) zu den Nordenhamer Spitzenmusikern.
Vormals Mitglieder bei Sacred Voices und Awake, waren sie mit ihrer ohrmuschelsprengenden Musik, dem kompromißlosen Schlagzeugbeat und dem expressiven Gitarren- und Baßstil zu seltsamen Titeln genau die richtige Einstimmung. AWD, das war weitaus mehr als eine nette Dreingabe aus der Nordenhamer Musikszene. Die Drei, auch das ein Beweis für ihre Klasse, fesselten diejenigen, die zuhören wollten, kamen mit einer jazzigen Zugabe den Wünschen des Publikums gerne nach und kündigten eine demnächst erscheinende CD an. Sollte man in seine Sammlung aufnehmen.
Die Leute, die meinen, im Thekenbereich sei der beste Platz, ließen sich wieder einmal nicht nach vorne locken. Daß das kein Kriterium für die Qualität einer Gruppe ist, sollte sich spätestens beim Auftritt von Blow Beat zeigen. Die Frage nach dem Warum erübrigt sich nach den vielen vergleichbaren Erfahrungen, rätselhaft bleibt es trotzdem.
Umso mehr, als Vergleichbares wohl so schnell nicht wieder geboten wird. Eine Band wie Blow Beat läßt man nicht einfach an sich vorbeirauschen, da öffnet man Ohren und Augen ganz weit, will keinen Moment verpassen, nicht die abgefahrenen Storys des aufgedrehten Sängers und schon gar nicht die grandiose musikalische Darbietung.
Verschmitzte Mimik, verrückte Geschichten
Ton Engels: immer in Bewegung, verschmitze Mimik unter der Schiebermütze, verrückte Geschichten von verpaßten Liebesgeständnissen und tragischen Konsequenzen, Schweizer Grenzern und deren Angst, daß es die Musiker auf die Alpengipfel abgesehen haben und noch vielerlei Skurilitäten mehr. Der Baß mischt sich ein und zeigt, daß er weitaus mehr als Beiwerk ist, und Jörg Lehnardt fetzt Soli der Güteklasse 1 in die Jahnhalle. Das haut einen um, da wabern Sphärenklänge, feiert der Rock seine fulminante Auferstehung.
Und dann ist da ja noch Drummer René Cremmers. Sagenhaft! Müßig der Versuch, seine Technik zu beschreiben. Erkunden, wo Blow Beat demnächst auftreten, hingehen und staunen, staunen, staunen! Acht Minuten Solo, acht Minuten, in denen man meint, das Schlagzeugspiel werde neu erfunden. Jubel, grenzenlose Begeisterung, strahlende Gesichter und Mitternacht war schon vorbei Zugaben. Ton Engels allein auf der Bühne. Diesmal ganz soft mit einem Lagerfeuerlied auf der Akkustikgitarre, und dann noch mal alle vier mit Power total.
Denken wir an die Meßlatte und hoffen, daß Blow Beat sehr bald wiederkommen. Die O-Ton Presseinfo musikterroristische Einheit“ bringt's fertig und schiebt sie noch um einiges höher.