KZW, 1968
Wolfhart und Boike singen Folklore aus aller Welt -
Das plattdeutsche Lied wiederentdeckt

NORDENHAM (r). „Wenn es ein Ehepaar ist, denkt natürlich Jeder gleich an Esther und Abi Ofarim." Das sagt Wolfhart Brase (24), der zusammen mit seiner Frau Boike (23) am 1. Mai die in der „Friedeburg" versammelten Gewerkschaftler zu Beifallsstürmen hinriß. Mit den beiden Großen aus dem Showgeschäft aus Israel haben die beiden jungen Nordenhamer nur die personelle Zusammensetzung ihres „Teams" gemeinsam. Im übrigen -wehren sie sich energisch gegen den Verdacht, sie könnten sich in der Ausübung ihrer Kunst der Darbietung von Folklore aus aller Welt an irgendjemand anlehnen. Sie singen zwar jiddisch — die Ofarims aber nur hebräisch. Und in der Aufzählung der Ursprungsländer, in denen ihre Lieder zur Gitarre heimisch sind, rangiert die Heimat ganz oben: „As Du mien Leewsten bist... "hat seinen festen Platz im Repertoire. Und immer wieder konnten Wolfhart und Boike erleben, daß dieses plattdeutsche Volkslied bei jedem Publikum ankommt.
. Obwohl das junge Paar seine ersten Sporen verdient hat, macht es" sich keine Illusionen über eine himmelstürmende künstlerische Laufbahn. Das zeigt auch die Tatsache, daß sie beide mit unvermindertem Ernst ihren bürgerlichen Berufen nachgehen. Boike geborene Jacobs, von Geburt Nordenhamerin, trägt ihren Teil zu dem 1965 gegründeten Hausstand mit dem Einkommen bei, daß sie bei den Vereinigten Flugtechnischen Werken in Einswarden als kaufmännische Angestellte verdient. Wolfhart, gebürtiger Schleswig-Holsteiner aus Dauenhof, Kreis Pinneberg, mußte erst kürzlich die Prodezur des Gautschens über sich ergehen lassen, als er mit Erfolg seine Prüfung als Schriftsetzer abgelegt hatte. Nach drei Semestern Studium an der Kunstschule Alsterdamm in hamburg absolvierte er sein Praktikum im technischen Betrieb der Kreiszeitung Wesermarsch". Sein weiterer Lebensweg sieht in der Planung auch keineswegs so aus, als ob er von der Kunst bestimmt wäre. „Ich werde wahrscheinlich in absehbarer Zelt mein Studium fortsetzen", versichert Wolfhart. „Wenn wir wirklich für ein oder zwei Platten .entdeckt" werden sollten, heißt das doch noch lange nicht, daß man davon auch leben kann . . ." Beide sind für ihre „Nebentätigkeit" erblich vorbelastet. Musik und Gesang wurden in den Elternhäusern der Jacobs und der Brase's von Jugend auf gepflegt. Boike lernte bei dem unvergessenen Nordenhamer Musikpädagogen und Komponisten Arpad von Laban das Klavierspielen: Wolfhart war .schon mit 15 Jahren • auf verschiedenen Instrumenten „zu Hause" :und steht seit seinem 18. Lebensjahr mit der Gitarre auf Du und Du. „Und gelegentlich singe ich auch mal ein wenig", versichert der Jünger der „schwarzen Kunst". Freimütig gibt er zu, ,daß er mit der Musik noch nicht so weit war, daß er damit sein Studium in Hamburg finanzieren konnte. Dafür mußte er schon an den Hafen gehen und dort Schichten schieben.
Bevor das Paar das internationale Volkslied entdeckte, war es in der Band „Simooms" in Nordenham und Butjadingen bekannt geworden. Jedoch: „Das hat sich scheinbar überlebt, weil gegen die Discotheken kein Kraut gewachsen ist". Inspiriert wurden Wolfhart und Boike dann durch die amerikanische Folklore. Inzwischen sirigen sie Lieder aus Island, Rußland, Spanien, Frankreich, Norwegen und England. Im „Zupfgeigenhansel", dem Liederbuch aus längst vergangenen Jahrhunderten, entdeckten sie das Fragment eines Liedes In Althochdeutsch. Bei den fremdsprachlichen Texten gibt es manche Schwierigkeit zu überwinden: „Die Uebersetzungen müssen wir uns zum Teil aus Wörterbüchern zusammensuchen oder auch Sprachkundige befragen ..."
Nach einer Reihe erfolgreicher Auftritte im heimatlichen Nordenham und in Butjadingen scheint jetzt ein Sprung über die Bezirksgrenzen möglich: Für Sonntag ist das Folkloristen-Duo nach Osnabrück verpflichtet. Dann steht ein Auftritt in Krefeld bevor. Der Beitrag der Brase's zur Maikundgebung in der „Friedeburg" scheint weitere freundliche Perspektiven zu eröffnen: Die Rednerin Ruth Gamp von der Gewerkschaft Handel, „Banken und Versicherungen war so beeindruckt, daß sie sich um Kurzengagements im Raum um Frankfurt bemühen will.